Jürgen Diebäcker
Well-Known Member
Zucht ohne Augenmaß bedroht in Norwegen den "König der Flüsse"
Fünf Läuse sind des jungen Lachses Tod
"Nein“, sagt Kenneth Benjaminsen (42), „Wildlachse in den Flüssen gibt es auch hier nicht mehr.“ Nicht mehr auf Senja, der Insel 300 Kilometer nördlich des Polarkreises, die einst ein Zentrum vor allem des Heilbutt-Fangs war; nicht mehr (oder kaum noch) selbst in der Vosso, dem berühmtesten Lachsfluß Norwegens, zu dem früher Fliegenfischer aus aller Welt einflogen, um für 250 Euro Gebühr pro Tag die Chance auf einen 40pfünder zu suchen; nicht mehr (oder kaum noch) in den von Fischkrankheiten und Parasiten ruinierten einstigen „Traumflüssen“ Driva, Gaula, Namsen, Surna, Figga, Baevra, Byelva, Oselva oder Stordalselva.
Was dort oder in anderen der 629 lachsführenden Flüsse Norwegens noch als Lachs an den Haken geht, ist oft krank, degeneriert, aus Zuchtanstalten „entkommen“ oder als minderwertig aussortiert worden - jedenfalls meist kein „richtiger“ Wildlachs (Salmo salar) mehr. Wer nach dem sucht, wird selbst am Trondheimer Hafen, wo frisch und geräuchert eigentlich alles zu haben ist, was Flossen trägt, mitleidig belächelt: „Wo kommen Sie denn her?“
Fragt man Kenneth Benjaminsen, einen der sieben Lachsmäster auf Senja, nach der Ursache für den Niedergang des „Königs der Flüsse“, zuckt er zunächst mit den Schultern: Abwehrhaltung nach vielen Vorwürfen gegen Züchter, sie trügen die (Haupt-)Schuld am Rückgang der Wildlachse. Erst wenn man akzeptiert, dass der 42-Jährige, der bis 1984 bei der Staatlichen Fischereiverwaltung in Narvik arbeitete, ein „sauberer“ Züchter ist, taut er langsam auf. Dass Kollegen zuhauf tote, kranke oder minderwertige Zuchtfische ins Wasser der Fjorde werfen statt sie, wie seit Jahren vorgeschrieben, an Land teuer zu entsorgen, sei zwar „selten nachgewiesen“, aber "wahrscheinlich", räumt er ein: „So viele Zuchtlachse, wie frei umherschwimmen, können gar nicht durch Löcher in den Netzkäfigen entkommen sein.“ Staatliche Stellen schätzten deren Zahl auf bis zu 1,6 Millionen pro Jahr; der Fisch-Ökologe und -Genetiker Kjetil Hindar errechnete, in Norwegens Fjorden sei durchschnittlich jeder vierte, im Namsen sogar jeder zweite von Anglern gefangene Lachs ein in der Brutanstalt geborener „Streuner“, die die Stammväter ihrer Art infizieren und verdrängen.
Dass die Farmen der Mäster potentielle Krankheitsherde sind, die „die Pest“ in Fjorde und Flüsse tragen, deren Wildlachs- und Meerforellen-Populationen schädigen, liegt vor allem am Umfang des Zuchtgeschäfts. Nach dem zügellosen Boom der 80-er Jahre mit zweistelligen Zuwachsraten alle zwölf Monate und nach heftigen Protesten von Naturschützern, die Lachszucht sei zur „Umweltverschmutzung“ verkommen, haben die Osloer Behörden 1996 zwar endlich schärfere Ordnungsregeln verfügt: Futterquoten wurden eingeführt, Lizenzzahl, Käfiggröße und -zahl begrenzt, regelmäßiger Standortwechsel vorgeschrieben. Doch der Eingriff kam zu spät: Fjord- und Fluss-Ökologie waren bereits schwer geschädigt - auch durch Leichtfertigkeit in den Zuchtanstalten mit unvorhergesehenen Folgen.
Mindestens 100 000 Tonnen Fäkalien, darunter 25 000 Tonnen Phosphat und Stickstoff, sinken aus den Netzkäfigen jährlich auf den Boden der Fjorde, die vor allem im Großraum Bergen zum idealen Nährboden für Parasiten- und Algenplagen geworden sind. Aus dem Flekka-Fjord im Süden etwa zog vor Jahren eine Algenpest die Westküste herauf, vernichtete hunderte Tonnen Zuchtlachs - die aus Japan stammende gelbbraune Algenart Chatonella verrucolosa war bis dahin in Nordeuropa nie gesichtet worden. Seit Mitte der 80-er Jahre kämpfen die Farmen gegen die aus Schottland eingeschleppte Furunkulose, zu deren Eindämmung zunächst tonnenweise Antibiotika verwendet wurden - heute werden Junglachse gegen den Erreger geimpft. Danach folgte, ausgelöst durch Experimente einer Zuchtforschungsstation, ein Saugwurm-Parasit, gegen den Ostsee-Lachse immun sind, die norwegischen Stämme aber seltsamerweise nicht. Zwar bekamen die Farmen auch dieses „Problem“ inzwischen durch Futterbeigaben, Medikamentenbäder und Einsatz von Insektiziden in den Griff. Die Flüsse in Mittelnorwegen litten da jedoch schon unter Gyrodactylus salaris - bis heute.
„Hier im Norden“, sagt Kenneth Benjminsen, „haben wir bisher ziemlich Glück gehabt. Mit der Furunkulose zum Beispiel hatten wir wenig Sorgen, eher mit Algen, die auch nördlich des Polarkreises zum Problem geworden sind.“ Das liege an deren „explosionsartiger Ausbreitung“, weniger an der hier geringeren Dichte der Farmen: Auf Senja gebe es nur sieben Mastbetriebe und eine - seine - Zuchtanlage, in der jährlich etwa 600 000 Junglachse schlüpfen und etwa 1,50 Euro bringen, wenn sie als fingerlange Smolte an Mäster abgegeben werden.
Höchste Gefahr bedeuten für junge Wildlachse die in allen norwegischen Fjorden grassierenden Läuse. „Sie kommen mit den heimkehrenden Wildlachsen, werden von ihnen abgeschüttelt, können nur im Salz-, nicht im Süßwasser leben“, erläutert Kenneth und beteuert: „Läuse an Lachsen gab es immer.“ Die Frage sei eben nur, wieviele. Im nährstoffübersättigten Fjordwasser rund um die Aquafarmen finden diese Parasiten ideale Lebensumstände, die enorme Vermehrung bewirken. Züchter bekämpfen die Läuse mit Medikamenten im Futter, versuchen ältere Fische durch regelmäßige Bäder einigermaßen lausfrei zu halten. Doch Läuse gebe es selbst in jenen Zuchtbetrieben, die vollständig „an Land“, ohne jede Verbindung zum Fjord arbeiteten, ihre Tanks mit gereinigtem Meerwasser aus 100 Meter Tiefe füllten, versichert Benjaminsen.
Erwachsene, zum Laichen heimkehrende Wildlachse überleben die Lausherden in den Fjorden, allerdings deutlich geschwächt. Doch für die im zweiten Lebensjahr ins Meer abwandernden Smolte, deren Organismus sich im Fjord langsam auf Salzwasser umstellen muss, sind die die Schleimhaut schädigenden Parasiten eine tödliche Falle: Schon fünf Läuse sind jedes jungen Wildlachses Tod. Für die Wildbestände von Salmo salar bedeutet die Läuseplage das vermutlich dauerhafte Aus: Immer weniger Heimkehrer und kaum überlebender Nachwuchs haben die genetische Kette des „Königs der Flüsse“ vielerorts bereits reißen lassen. Eine Art, die - unter anderem durch Züchtung - vor dem Aussterben bewahrt werden sollte, verschwindet so: Weil der Mensch bei ihrer Zucht für den Massenverzehr das Augenmaß verlor.
Auch die Züchter haben immer weniger von ihrem Produkt: Was Kenneth Benjaminsen das 15-monatige Füttern seiner jährlich 300 000 Zuchtlachse bei der Direktvermarktung auf dem europäischen Kontinent „bringt“, entscheidet nicht die Qualität seiner Zuchtware, sondern der unkalkulierbare Markt, auf dem die Preise stark schwanken und beständig verfallen. Bevor seine Fische in Skrolsvik geschlachtet werden, muss er sie (zum Medikamentenabbau) zehn Tage lang hungern lassen. „Es ist schon vorgekommen, dass der Kilopreis in dieser kurzen Zeit von 30 auf 20 Kronen fiel“, erzählt Kenneth. Und er versichert: „18 Kronen brauche ich, um meine Kosten zu decken.“ Vom Rest muss er mit Frau und zwei Kindern leben. Das gelingt immer schlechter, denn sein Konto schmilzt.
Infos
Billig wie Hähnchenfleisch und Hering
Etwa 750 Aquafarmen produzieren in Norwegen jährlich über 300 000 Tonnen Zuchtlachs - mehr als die Hauptkonkurrenten Schottland, Irland, Alaska, Kanada und Chile gemeinsam auf den Markt bringen. Zwar verfielen die Preise drastisch - vor zehn Jahren brachte den Züchtern ein Kilo Lachs noch 70, heute im Durchschnitt nur noch 24 Kronen. Doch die Skandinavier glichen das bislang durch jährliche Zuwachsraten von 15 bis 20 Prozent (und, wie die Schotten argwöhnen, mit staatlichen Subventionen) aus, setzen deshalb weiter aufs Massenge-schäft: „Wir wollen ohne Wenn und Aber, dass Lachs für den Verbraucher eine Alternative zum Hähnchen wird“, bekannte Jostein Refsnes, Geschäftsführer des Fischzüchterverbandes in Oslo. Je billiger das Produkt, desto größere Absatzmärkte lassen sich erobern, lautet die Devise. Den „Abstieg in die Pizza-Liga“ wollen die Lachszüchter allerdings vermeiden.
Inzwischen wird in Europa zehn Mal so viel Lachs gegessen wie noch Ende der 80-er Jahre. Allerdings sanken im gleichen Zeitraum für die Erzeuger die Preise so stark wie bei keinem anderen Lebensmittel: Der einstige „Edelfisch für Gourmets“ kostet für Konsumenten heute kaum noch mehr als Hering, früher der „Arme-Leute-Fisch“.
Ernährungstechnisch gehört die Lachszucht zu den effektivsten Arten der Lebensmittelproduktion: Mit nur 100 Kilo Futter lassen sich 65 Kilo (Fisch-)Fleisch gewinnen, drei Mal mehr als bei der Hähnchenmast. Ökologen befürchten allerdings, die Futtergewinnung werde auf Dauer den Fischbestand der Meere ruinieren: Zur Zuchtlachs-Fütterung werden im Nordatlantik und vor allem im Pazifik jährlich Milliarden Kleinfische gefangen und zu 500 000 Tonnen Fischmehl verarbeitet. Diese Verschwendung von tierischem Eiweiß könnte durch eine Umstellung auf vegetarische Futtermittel gestoppt werden. Bisherige Versuche ergaben jedoch erheblichere Geschmacksunterschiede als zwischen Wild- und Zuchtlachs. Deshalb hat vegetarisch gefütterter Zuchtlachs vorerst keine Marktchance.
Wegen des Preisverfalls und des hohen Konkurrenzdrucks im eigenen Land suchen Norwegens Aquafarmen zunehmend nach Alternativen. Gezüchtet werden bereits Heilbutt und Dorsch, doch bereitet die Vermarktung Probleme: Beim Heilbutt beschränkt sich der Absatz auf Spezialrestaurants, das Geschäft lohnt deshalb nur in kleineren Mengen; bei Dorsch und Kabeljau bestimmen - noch - die Massenfänge der Berufsfischer-Flotten das Preisniveau, das für die Zucht zu niedrig ist.
JÜRGEN DIEBÄCKER (geschrieben für Rheinische Post u. a.)
Die beiden anhängenden Bilder zeigen Kenneth Benjaminsen beim Füttern an seiner Käfiganlage und bei der Kontrolle von Junglachsen.
Fünf Läuse sind des jungen Lachses Tod
"Nein“, sagt Kenneth Benjaminsen (42), „Wildlachse in den Flüssen gibt es auch hier nicht mehr.“ Nicht mehr auf Senja, der Insel 300 Kilometer nördlich des Polarkreises, die einst ein Zentrum vor allem des Heilbutt-Fangs war; nicht mehr (oder kaum noch) selbst in der Vosso, dem berühmtesten Lachsfluß Norwegens, zu dem früher Fliegenfischer aus aller Welt einflogen, um für 250 Euro Gebühr pro Tag die Chance auf einen 40pfünder zu suchen; nicht mehr (oder kaum noch) in den von Fischkrankheiten und Parasiten ruinierten einstigen „Traumflüssen“ Driva, Gaula, Namsen, Surna, Figga, Baevra, Byelva, Oselva oder Stordalselva.
Was dort oder in anderen der 629 lachsführenden Flüsse Norwegens noch als Lachs an den Haken geht, ist oft krank, degeneriert, aus Zuchtanstalten „entkommen“ oder als minderwertig aussortiert worden - jedenfalls meist kein „richtiger“ Wildlachs (Salmo salar) mehr. Wer nach dem sucht, wird selbst am Trondheimer Hafen, wo frisch und geräuchert eigentlich alles zu haben ist, was Flossen trägt, mitleidig belächelt: „Wo kommen Sie denn her?“
Fragt man Kenneth Benjaminsen, einen der sieben Lachsmäster auf Senja, nach der Ursache für den Niedergang des „Königs der Flüsse“, zuckt er zunächst mit den Schultern: Abwehrhaltung nach vielen Vorwürfen gegen Züchter, sie trügen die (Haupt-)Schuld am Rückgang der Wildlachse. Erst wenn man akzeptiert, dass der 42-Jährige, der bis 1984 bei der Staatlichen Fischereiverwaltung in Narvik arbeitete, ein „sauberer“ Züchter ist, taut er langsam auf. Dass Kollegen zuhauf tote, kranke oder minderwertige Zuchtfische ins Wasser der Fjorde werfen statt sie, wie seit Jahren vorgeschrieben, an Land teuer zu entsorgen, sei zwar „selten nachgewiesen“, aber "wahrscheinlich", räumt er ein: „So viele Zuchtlachse, wie frei umherschwimmen, können gar nicht durch Löcher in den Netzkäfigen entkommen sein.“ Staatliche Stellen schätzten deren Zahl auf bis zu 1,6 Millionen pro Jahr; der Fisch-Ökologe und -Genetiker Kjetil Hindar errechnete, in Norwegens Fjorden sei durchschnittlich jeder vierte, im Namsen sogar jeder zweite von Anglern gefangene Lachs ein in der Brutanstalt geborener „Streuner“, die die Stammväter ihrer Art infizieren und verdrängen.
Dass die Farmen der Mäster potentielle Krankheitsherde sind, die „die Pest“ in Fjorde und Flüsse tragen, deren Wildlachs- und Meerforellen-Populationen schädigen, liegt vor allem am Umfang des Zuchtgeschäfts. Nach dem zügellosen Boom der 80-er Jahre mit zweistelligen Zuwachsraten alle zwölf Monate und nach heftigen Protesten von Naturschützern, die Lachszucht sei zur „Umweltverschmutzung“ verkommen, haben die Osloer Behörden 1996 zwar endlich schärfere Ordnungsregeln verfügt: Futterquoten wurden eingeführt, Lizenzzahl, Käfiggröße und -zahl begrenzt, regelmäßiger Standortwechsel vorgeschrieben. Doch der Eingriff kam zu spät: Fjord- und Fluss-Ökologie waren bereits schwer geschädigt - auch durch Leichtfertigkeit in den Zuchtanstalten mit unvorhergesehenen Folgen.
Mindestens 100 000 Tonnen Fäkalien, darunter 25 000 Tonnen Phosphat und Stickstoff, sinken aus den Netzkäfigen jährlich auf den Boden der Fjorde, die vor allem im Großraum Bergen zum idealen Nährboden für Parasiten- und Algenplagen geworden sind. Aus dem Flekka-Fjord im Süden etwa zog vor Jahren eine Algenpest die Westküste herauf, vernichtete hunderte Tonnen Zuchtlachs - die aus Japan stammende gelbbraune Algenart Chatonella verrucolosa war bis dahin in Nordeuropa nie gesichtet worden. Seit Mitte der 80-er Jahre kämpfen die Farmen gegen die aus Schottland eingeschleppte Furunkulose, zu deren Eindämmung zunächst tonnenweise Antibiotika verwendet wurden - heute werden Junglachse gegen den Erreger geimpft. Danach folgte, ausgelöst durch Experimente einer Zuchtforschungsstation, ein Saugwurm-Parasit, gegen den Ostsee-Lachse immun sind, die norwegischen Stämme aber seltsamerweise nicht. Zwar bekamen die Farmen auch dieses „Problem“ inzwischen durch Futterbeigaben, Medikamentenbäder und Einsatz von Insektiziden in den Griff. Die Flüsse in Mittelnorwegen litten da jedoch schon unter Gyrodactylus salaris - bis heute.
„Hier im Norden“, sagt Kenneth Benjminsen, „haben wir bisher ziemlich Glück gehabt. Mit der Furunkulose zum Beispiel hatten wir wenig Sorgen, eher mit Algen, die auch nördlich des Polarkreises zum Problem geworden sind.“ Das liege an deren „explosionsartiger Ausbreitung“, weniger an der hier geringeren Dichte der Farmen: Auf Senja gebe es nur sieben Mastbetriebe und eine - seine - Zuchtanlage, in der jährlich etwa 600 000 Junglachse schlüpfen und etwa 1,50 Euro bringen, wenn sie als fingerlange Smolte an Mäster abgegeben werden.
Höchste Gefahr bedeuten für junge Wildlachse die in allen norwegischen Fjorden grassierenden Läuse. „Sie kommen mit den heimkehrenden Wildlachsen, werden von ihnen abgeschüttelt, können nur im Salz-, nicht im Süßwasser leben“, erläutert Kenneth und beteuert: „Läuse an Lachsen gab es immer.“ Die Frage sei eben nur, wieviele. Im nährstoffübersättigten Fjordwasser rund um die Aquafarmen finden diese Parasiten ideale Lebensumstände, die enorme Vermehrung bewirken. Züchter bekämpfen die Läuse mit Medikamenten im Futter, versuchen ältere Fische durch regelmäßige Bäder einigermaßen lausfrei zu halten. Doch Läuse gebe es selbst in jenen Zuchtbetrieben, die vollständig „an Land“, ohne jede Verbindung zum Fjord arbeiteten, ihre Tanks mit gereinigtem Meerwasser aus 100 Meter Tiefe füllten, versichert Benjaminsen.
Erwachsene, zum Laichen heimkehrende Wildlachse überleben die Lausherden in den Fjorden, allerdings deutlich geschwächt. Doch für die im zweiten Lebensjahr ins Meer abwandernden Smolte, deren Organismus sich im Fjord langsam auf Salzwasser umstellen muss, sind die die Schleimhaut schädigenden Parasiten eine tödliche Falle: Schon fünf Läuse sind jedes jungen Wildlachses Tod. Für die Wildbestände von Salmo salar bedeutet die Läuseplage das vermutlich dauerhafte Aus: Immer weniger Heimkehrer und kaum überlebender Nachwuchs haben die genetische Kette des „Königs der Flüsse“ vielerorts bereits reißen lassen. Eine Art, die - unter anderem durch Züchtung - vor dem Aussterben bewahrt werden sollte, verschwindet so: Weil der Mensch bei ihrer Zucht für den Massenverzehr das Augenmaß verlor.
Auch die Züchter haben immer weniger von ihrem Produkt: Was Kenneth Benjaminsen das 15-monatige Füttern seiner jährlich 300 000 Zuchtlachse bei der Direktvermarktung auf dem europäischen Kontinent „bringt“, entscheidet nicht die Qualität seiner Zuchtware, sondern der unkalkulierbare Markt, auf dem die Preise stark schwanken und beständig verfallen. Bevor seine Fische in Skrolsvik geschlachtet werden, muss er sie (zum Medikamentenabbau) zehn Tage lang hungern lassen. „Es ist schon vorgekommen, dass der Kilopreis in dieser kurzen Zeit von 30 auf 20 Kronen fiel“, erzählt Kenneth. Und er versichert: „18 Kronen brauche ich, um meine Kosten zu decken.“ Vom Rest muss er mit Frau und zwei Kindern leben. Das gelingt immer schlechter, denn sein Konto schmilzt.
Infos
Billig wie Hähnchenfleisch und Hering
Etwa 750 Aquafarmen produzieren in Norwegen jährlich über 300 000 Tonnen Zuchtlachs - mehr als die Hauptkonkurrenten Schottland, Irland, Alaska, Kanada und Chile gemeinsam auf den Markt bringen. Zwar verfielen die Preise drastisch - vor zehn Jahren brachte den Züchtern ein Kilo Lachs noch 70, heute im Durchschnitt nur noch 24 Kronen. Doch die Skandinavier glichen das bislang durch jährliche Zuwachsraten von 15 bis 20 Prozent (und, wie die Schotten argwöhnen, mit staatlichen Subventionen) aus, setzen deshalb weiter aufs Massenge-schäft: „Wir wollen ohne Wenn und Aber, dass Lachs für den Verbraucher eine Alternative zum Hähnchen wird“, bekannte Jostein Refsnes, Geschäftsführer des Fischzüchterverbandes in Oslo. Je billiger das Produkt, desto größere Absatzmärkte lassen sich erobern, lautet die Devise. Den „Abstieg in die Pizza-Liga“ wollen die Lachszüchter allerdings vermeiden.
Inzwischen wird in Europa zehn Mal so viel Lachs gegessen wie noch Ende der 80-er Jahre. Allerdings sanken im gleichen Zeitraum für die Erzeuger die Preise so stark wie bei keinem anderen Lebensmittel: Der einstige „Edelfisch für Gourmets“ kostet für Konsumenten heute kaum noch mehr als Hering, früher der „Arme-Leute-Fisch“.
Ernährungstechnisch gehört die Lachszucht zu den effektivsten Arten der Lebensmittelproduktion: Mit nur 100 Kilo Futter lassen sich 65 Kilo (Fisch-)Fleisch gewinnen, drei Mal mehr als bei der Hähnchenmast. Ökologen befürchten allerdings, die Futtergewinnung werde auf Dauer den Fischbestand der Meere ruinieren: Zur Zuchtlachs-Fütterung werden im Nordatlantik und vor allem im Pazifik jährlich Milliarden Kleinfische gefangen und zu 500 000 Tonnen Fischmehl verarbeitet. Diese Verschwendung von tierischem Eiweiß könnte durch eine Umstellung auf vegetarische Futtermittel gestoppt werden. Bisherige Versuche ergaben jedoch erheblichere Geschmacksunterschiede als zwischen Wild- und Zuchtlachs. Deshalb hat vegetarisch gefütterter Zuchtlachs vorerst keine Marktchance.
Wegen des Preisverfalls und des hohen Konkurrenzdrucks im eigenen Land suchen Norwegens Aquafarmen zunehmend nach Alternativen. Gezüchtet werden bereits Heilbutt und Dorsch, doch bereitet die Vermarktung Probleme: Beim Heilbutt beschränkt sich der Absatz auf Spezialrestaurants, das Geschäft lohnt deshalb nur in kleineren Mengen; bei Dorsch und Kabeljau bestimmen - noch - die Massenfänge der Berufsfischer-Flotten das Preisniveau, das für die Zucht zu niedrig ist.
JÜRGEN DIEBÄCKER (geschrieben für Rheinische Post u. a.)
Die beiden anhängenden Bilder zeigen Kenneth Benjaminsen beim Füttern an seiner Käfiganlage und bei der Kontrolle von Junglachsen.
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